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DIE BERLINER MAUER – „Schutzwall“ und „Gefängnis“

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Allein in den 50er-Jahren flohen etwa drei Millionen Menschen von Ost- nach Westdeutschland. Dem "Abstimmen mit den Füssen" setzte die DDR im Sommer 1961 endgültig den Riegel vor - mit dem Bau der Mauer. Die Mauer trennte Familien, zerstörte Menschenleben. Doch mit dem Bau erwachte auch der Widerstand, diese Mauer um jeden Preis zu überwinden. Ein lebensgefährliches Ziel. Allein an der Berliner Mauer mussten zwischen 1961 und 1989 mindestens 140 Menschen dafür mit dem Leben bezahlen. Von Julia Zantl (BR 2021)

Credits
Autorin: Julia Zantl
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß, Clemens Nicol
Technik: Peter Preuß
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Hubert Hohlbein, Dr. Maria Nooke
Anmerkung der Redaktion:
Bis heute gibt es keine exakte Zahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze bzw. der Berliner Mauer. Nähere Informationen und Angaben zu den Zahlen erhalten Sie HIER.
Ein besonderer Linktipp der Redaktion:
Deutschlandfunk Kultur: Die Geschichte geht weiter - Victor Klemperers Tagebücher 1918 - 1959
Victor Klemperer hat in seinen Tagebüchern die großen Umbrüche notiert – von der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis zum ersten Jahrzehnt der DDR. Host und Historikerin Leonie Schöler nimmt uns in diesem Podcast mit in die Welt eines deutschen Zeitzeugen. ZUM PODCAST

Linktipps:
MDR (2023): Wir Kinder der Mauer
Der Tag des Mauerbaus bestimmt auf lange Zeit das Leben vieler Kinder und Jugendlicher. Mehr noch als die Erwachsenen sind sie dem Geschehen total ausgeliefert, sind ohnmächtig in Bezug auf Politik und familiäre Entscheidungen. 28 Jahre lang sind Mauer und Stacheldraht eine vorgefundene Realität in ihrem Leben. Manche lehnen sich gegen ihren vorgezeichneten Lebensweg auf, andere finden sich mit der Teilung ab, die Familien auseinandergerissen, Menschen entwurzelt und Liebende getrennt hat. JETZT ANSEHEN

Deutschlandfunk Kultur (2021): Die geteilte Literatur
Der Mauerbau vor knapp 60 Jahren hat nicht nur die Gesellschaft in Ost und West getrennt, sondern auch die Literatur. Die Mauer war eine künstlerische Einschränkung, aber sie hat auch zur literarischen Auseinandersetzung angeregt. JETZT ANHÖREN


Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 04:13 – Von heute auf morgen
TC 06:54 – Der „antifaschistische Schutzwall“
TC 09:20 – Blutige Schicksale
TC 12:31 – Übers Wasser, durch die Erde
TC 17:01 - Aufarbeitung
TC 22:13 – Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro

Musik

SPRECHERIN:
25. Juli 1961: John F. Kennedy ist angespannt. Er soll in Washington eine Rede zur aktuellen Berlinkrise halten. Er hat enorme Rückenschmerzen. Ohne ein Stützkorsett unter dem Anzug und eine Dosis Kortison wäre sein Auftritt nicht möglich. Der 44-jährige Präsident ist gerade mal sechs Monate im Amt.
Seitdem sind die Verhandlungen mit Chruschtschow zur Berlinkrise gescheitert. Der russische Ministerpräsident hat sein Ultimatum erneuert: Er fordert, Berlin den Status einer entmilitarisierten, wie er sagt, „freien Stadt“ zu geben. Dahinter steckt auch der langfristige Plan, die Westsektoren nach und nach in die DDR einzuverleiben. Sollten die Westmächte seiner Forderung innerhalb eines halben Jahres nicht zustimmen, will er einen separaten Friedensvertrag mit der DDR schließen, der die Besatzungsrechte der Alliierten in West-Berlin aufhebt. Ansonsten schrecke er auch vor militärischen Mitteln nicht zurück. Die Erwartungen an Kennedy’s Rede sind enorm.

1 O-TON KENNEDY REDE (WASHINGTON; 25 JULY 1961)
Good evening! Seven weeks ago tonight I returned from Europe to report on my meeting with Premier Khrushchev and the others. His grim warnings about the future of the world, his aide-memoire on Berlin, his subsequent speeches and threats which he and his agents have launched, and the increase in the Soviet military budget that he has announced, have all prompted a series of decisions by the Administration and a series of consultations with the members of the NATO organization.

ZITATOR / Üs Kennedy
Heute vor sieben Wochen bin ich aus Europa zurückgekehrt, um über mein Treffen mit Ministerpräsident Chruschtschow und den anderen zu berichten.

Musik

SPRECHERIN:
Kennedy weiß, dass er den richtigen Ton treffen muss. Es gilt Entschlossenheit zu zeigen, dennoch will er den Konflikt nicht unnötig verschärfen.

2 Zusp Rede Kennedy
In Berlin, as you recall, he intends to bring to an end, through a stroke of the pen, first our legal rights to be in West Berlin; and secondly our ability to make good on our commitments to two million people of that city. That we cannot permit.

ZITATOR / Üs Kennedy
In Berlin will er erstens mit einem Federstrich unsere legalen Rechte auf Anwesenheit in Westberlin aufheben und zweitens uns die Möglichkeit nehmen, unsere Verpflichtungen gegenüber den zwei Millionen Einwohnern dieser Stadt zu erfüllen. Das können wir nicht zulassen.

Musik

SPRECHERIN:
Kennedy spricht ausdrücklich von nur zwei Millionen Berlinern. Damit meint er ausschließlich die Westberliner, denn die Stadt hat insgesamt 3,3 Millionen Einwohner. Die Ostberliner, die jeden Monat zu Tausenden nach Westberlin fliehen - im Juli ´61 sind es über 30.000 Menschen - erwähnt Kennedy mit keinem Wort. Den Amerikanern geht es um Westberlin, das nicht nur eines der wichtigsten Spionage-Zentren im Kalten Krieg ist, sondern der Weltöffentlichkeit auch das Mächteringen vorführt. Die ganze Welt blickt auf Berlin und Kennedy will die politische Zuverlässigkeit der USA demonstrieren. Er macht klar, dass er Westberlin auf keinen Fall aufgeben wird:

3 O-TON KENNEDY REDE (WASHINGTON; 25 JULY 1961)
Thus, our presence in West Berlin, and our access there to, cannot be ended by any act of the Soviet Government...

ZITATOR / Üs Kennedy
Unsere Präsenz in West-Berlin kann durch keinen Akt der Sowjetregierung beendet werden.

SPRECHERIN:
Aus Kennedys Rede lassen sich drei essentielle Forderungen ableiten - die „three essentials“, deren Verletzung militärische Folgen haben würde: die Besatzungsrechte der Alliierten in West-Berlin, der freie Zugang nach West-Berlin und die Freiheit der West-Berliner. Fünf Tage später erklärt James Fulbright, der wichtigste außenpolitische Berater Kennedys, im US Fernsehen, dass er nicht verstehe, warum die ostdeutsche Grenze nicht einfach zugemacht würde. (...) wenn die Russen nächste Woche die Grenze schließen würden, könnten sie das tun, ohne einen einzigen Vertrag zu verletzen. Als ihn Kennedy darauf hin nicht zurückpfeift, ist endgültig klar: Die USA setzen einer Grenzschließung nichts entgegen. Und die scheint der DDR dringend nötig, denn die Bürger laufen ihr buchstäblich davon.
TC 04:13 – Von heute auf morgen

Musik

SPRECHERIN:
Spätestens im Juli lässt sich Chruschtschow vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht umstimmen. Ulbricht hatte zwar noch im Juni verkündet: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“. Doch das hält ihn angesichts der dramatischen Flüchtlings-Situation nicht davon ab, genau das doch zu tun.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August wird die Grenze abgeriegelt.
Hubert Hohlbein erinnert sich noch gut daran:

4 O-TON Hubert Hohlbein:
Mein Schulfreund und ich, am 12. August haben wir noch seine Freundin nach West-Berlin gebracht, haben dann auch ein Bier getrunken und nach zwölf Uhr nachts sind wir erst wieder zurückgefahren nach Ostberlin, und morgens um 8/9 Rundfunk gehört und da war natürlich die Aufregung groß. Berlin ist abgeriegelt, Ostberlin und Westberlin getrennt, Stacheldraht wird gezogen, Militär ist aufgefahren und haben die Grenzen dichtgemacht. Und da bin ich sofort zu meinem Freund, der hatte das noch nicht mitbekommen und der sagte: Komm wir fahren sofort zur Grenze und haben uns das angeschaut, wie das Militär schon den ersten Stacheldraht gezogen hat, und da sagte mein Freund, ohoh Du, das sieht aber ernsthaft aus. Da habe ich ihm noch das Geld, was ich noch in der Hand hatte, in die Hand gedrückt und dann sagt er, mach’s gut, Tschüss. Er ist über den Graben gesprungen, zack weg war er.

Musik

SPRECHERIN:
In den Folgetagen kommt es zu dramatischen Szenen. Menschen versuchen um jeden Preis zu fliehen, sie springen über Stacheldrahtverhaue oder lassen sich aus Fenstern von Häusern fallen, die direkt an der Grenze liegen. Sie wollen zu ihren Familien und Freunden oder schlicht und ergreifend raus aus der DDR.
Viele Berliner haben zwar damit gerechnet, dass etwas passieren würde, um die immer größer werdenden Flüchtlingsströme aufzuhalten, aber eine Mauer quer durch die Stadt war für die Meisten unvorstellbar. Allein 50.000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz im Westen.

5 O-TON Hubert Hohlbein
Innerhalb des Ostens, zwischen Ostdeutschland und Ost-Berlin gab es ja schon diese Grenze und da hatten wir in Ost-Berlin gedacht, also wenn sich das hier weiter so entwickelt, dann können eben die Leipziger nicht mehr direkt nach Ost-Berlin reisen. Es heißt, die werden abgefangen. Da werden die Grenzen um Berlin herum gemacht. Man konnte sich das nicht vorstellen, dass es innerhalb Berlin so ganz abgeriegelt wird, aber eine totale Abgrenzung, wies nachher die Mauer war, das konnte sich keiner vorstellen.

SPRECHERIN:
Während in Berlin auf beiden Seiten die Menschen zur Mauer strömen, um sich mit eigenen Augen des Unvorstellbaren zu vergewissern, setzt sich auf der Ostseite der Parteiapparat in Bewegung. Am 13. August ist die gesamte Staatssicherheit der DDR in Bereitschaft. Wer im Urlaub ist, muss zurückkommen. Größere Proteste in der DDR müssen um jeden Preis verhindert werden.
TC 06:54 – Der „antifaschistische Schutzwall“

6 O-TON DR MARIA NOOKE:
Da gab es zweistündige Berichte aus allen Kreisen, Bezirken hoch zum Ministerium, wie die Situation und die Reaktionen der Bevölkerung sind. Man hat unheimlich viele Leute verhaftet, wenn da jemand betrunken einfach mal auf Ulbricht schimpfte, dann war das schon ein Haftgrund. Die Gefängnisse füllten sich, sodass also auch eine innenpolitische Situation der Angst geschaffen wurde. Und parallel dazu hat man dann auch die Bevölkerung aufgerufen, sich mit den Maßnahmen der Regierung zu solidarisieren. Also, da gab es Unterschriftenlisten, da gab es im Radio Sendung dazu, wo sich also vor allem auch Kulturschaffende - das macht mich heute noch fassungslos, dass sie sich dazu hergegeben haben - dann die Maßnahmen zu begrüßen und zu sagen, damit wird jetzt der Frieden gerettet.

SPRECHERIN:
Die Geschwindigkeit mit der die SED ihre Bürger auf den Mauerbau einschwört und Gegner einschüchtert, trägt dazu bei, dass es in der DDR verhältnismäßig ruhig bleibt. DDR-Bürgerinnen und Bürgern wird eingeimpft, dass die Mauer ein Schutzwall sei, der die Rettung des Weltfriedens zu verdanken sei. Und ab 1962 wird die Mauer dann ganz offiziell „antifaschistischer Schutzwall“ genannt.
Doch selbst Kennedy soll nach dem Mauerbau einem Mitarbeiter gesagt haben, dass die Mauer zwar keine schöne Lösung sei, aber auf jeden Fall besser als Krieg. War die Mauer das kleinere Übel? Hat sie vielleicht sogar einen dritten Weltkrieg verhindert?

7 O-TON DR MARIA NOOKE:
Es ist ja die große Frage, ob es wirklich zum Atomschlag gekommen wäre. Das war ja die Drohkulisse. Aber das sind alles hypothetische Fragen, was passiert wäre, wenn die Amerikaner eingegriffen hätten. (…) Das heißt, 1961 war eine hochbrisante politische Situation, sowohl innenpolitisch als auch weltpolitisch, die eben glücklicherweise nicht eskaliert ist, aber natürlich mit den Folgen, die die DDR Bevölkerung zu tragen hatte.
TC 09:20 – Blutige Schicksale

SPRECHERIN:
Hunderte von Biografien hat Maria Nooke erforscht und dokumentiert: darunter politische Häftlinge, Familien von Flüchtlingen, die im Osten meist jahrelang Repressionen erleiden mussten und natürlich die Maueropfer selbst. Bereits am 24. August erschossen Grenzsoldaten den ersten Flüchtling. Der 24-jährige Günter Litfin starb an einem Schuss in den Hinterkopf. Mindestens 139 Menschen sollten ihm über die Mauerjahre in den Tod folgen. Die Hälfte davon allein in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau.

Musik

SPRECHERIN:
Weltweit bekannt wird der Tod des Mauerers Peter Fechter, denn ein mutiger Fotograf dokumentiert das Drama. Am 17. August 1962 flüchtet der 18- jährige während seines Dienstes. Er hat bereits die letzte Barriere des Todesstreifens erreicht und beginnt die Mauer emporzuklettern, als ihn das Feuer seiner Ostberliner Kollegen trifft. Er fällt schwer verletzt in den Todesstreifen zurück und ruft um Hilfe – vergeblich. Hubert Hohlbein erinnert sich:

8 O-Ton Hubert Hohlbein:
„Man konnte rüberblicken, man konnte über die Mauer schauen. Es waren Amerikaner da gewesen, amerikanischer Soldat. Keiner hat es gewagt, diesem langsam verblutenden Flüchtling zu helfen. Und erst nach über einer Stunde sind ostdeutsche Grenzsoldaten hingegangen und haben mehr oder weniger dann den Leichnam abtransportiert. Er war verblutet...
SPRECHERIN:
Fechters Tod wird zum Symbol für die Grausamkeit des Grenzsystems und bringt immer mehr Menschen gegen das DDR Regime auf. Darunter auch Hubert Hohlbein. Er ist später an einer der erfolgreichsten Fluchtaktionen beteiligt: dem Tunnel 57. Doch zunächst muss er selbst fliehen. Denn 1962 lebt er noch in Ostberlin bei seiner Mutter, die er zunächst nicht alleine lassen will, da der Vater erst ein Jahr vor dem Mauerbau gestorben ist. Doch obwohl die Mutter einer Flucht positiv gegenübersteht, kann er sie zu Beginn des Mauerbaus von seiner ersten Fluchtidee nicht überzeugen.

9 O-Ton Hubert Hohlbein:
Und dann hab ich versucht zu sagen komm als Familie, wir nehmen unseren Lastwagen, den großen, den wir bauen wir ein bisschen um, Sandsäcke hinten drauf, des war ein großer Lastwagen mit Allradantrieb sogar, wir fahren durch die Mauer, das hätte ich gerne gemacht, aber da hatte Muttern Angst, Schwester hatte Angst, Schwager „ um Gottes Willen“, dann sag ich, na gut, dann mach ich das irgendwann mal alleine und dann habe ich mich darauf vorbereitet, das alleine zu machen.

SPRECHERIN:
Gesagt, getan: mehrere Monate bereitet er sich auf seine Flucht vor. Sein Plan: er will in die Freiheit schwimmen. Zwei Kilometer von der Alten Meierei in Potsdam über den Jungfernsee nach Westen. Dazu trainiert Hubert fast ein ganzes Jahr - auch im Winter. Um sich abzuhärten, taucht er unter Eis, lernt über zwei Minuten die Luft anzuhalten. Sieben Kilo Blei trägt er um die Hüfte, um im Wasser keine Wellen zu schlagen.
TC 12:31 – Übers Wasser, durch die Erde

Musik

SPRECHERIN:
Am 21. November 1963 ist es soweit. Gegen 22 Uhr schwimmt er los. Es ist klirrend kalt. Sein Körper ist vollkommen vom Wasser bedeckt. Nur seine Schnorchelspitze könnte ihn jetzt noch verraten. Doch als er auf der Mitte des Sees ankommt, wird es plötzlich taghell über ihm. Scheinwerfer suchen das Wasser ab!

10 O-TON Hubert Hohlbein:
Ich dachte, Oh, Haben die mich jetzt im Visier, oder ist es nur ein Routineableuchten? Jedenfalls hab ich dann kurz ausgeatmeten und durch mein vieles Blei, was ich um hatte, bin ich sofort ein paar Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche verschwunden. Und ich wusste, ich kann so circa zwei Minuten oder etwas mehr, die Luft anhalten und in der Hoffnung, dass dann wirklich das Licht weg war. Und so war es dann auch. Als dann ich wieder auftauchen musste, war das Licht denn auch vorüber und ich habe mich dann gleich noch mal orientiert. Wie weit hätt ich es denn noch? Es war nicht mehr so weit.

SPRECHERIN:
Nach eineinhalb Stunden im eiskalten Wasser, kommt Hubert Hohlbein unweit des Fernmeldeturms an. Westdeutsche Polizisten haben ihn schon beobachtet und bringen ihn zum Aufwärmen in die nächstgelegene Station. Seine geglückte Flucht macht Hubert Hohlbein Mut - Mut auch anderen zu helfen. Wenige Monate nach seiner gelungenen Flucht schließt er sich im Frühjahr `64 der Fluchthelfergruppe um Wolfgang Fuchs an. Die plant einen Fluchttunnel vom Keller einer stillgelegten Bäckerei in der Bernauer Straße unter dem Todesstreifen hindurch nach Ostberlin.

Musik

SPRECHERIN:
Über ein halbes Jahr lang graben bis zu 35 Mann einen 12 Meter tiefen Schacht. Die Fluchthelfer arbeiten unentgeltlich in Schichten, leben spartanisch tagelang am Stück in den Kellerräumen. Am 2. Oktober `64 ist es so weit: Der Tunnel ist nun 145 Meter lang. Das Ziel, einen Keller in der Strelitzer Straße, haben die Studenten zwar verfehlt, doch dafür landen sie im Innenhof des Hauses - in einem stillgelegten Klohäuschen. Die perfekte Tarnung. Bereits am Abend des nächsten Tages soll die Aktion starten. Vier Fluchthelfer robben durch den Tunnel in den Osten, um dort die Flüchtlinge im Innenhof des Hauses zu empfangen. Einer der Helfer ist Hubert Hohlbein:

11 O-TON Hubert Hohlbein:
Dieses Draußen-stehen in dem Moment, so hilflos, wir waren zwar allerdings mit einer Pistole bewaffnet, aber wir hatten es eigentlich nur für unsere eigene Beruhigung dabei. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir sie unbedingt brauchen würden. Und dann, wie die ersten Flüchtlinge kamen, das war natürlich ein innerer Jauchzer, dass es nun so weit geklappt hat, dass ich den ersten Flüchtling jetzt ins Loch runtergelassen habe, das war meine Aufgabe in unserer Vierertruppe und der dann nun verschwand, da dachte ich, so, ein haben wir jetzt erst mal durch.

Musik

SPRECHERIN:
28 Flüchtlinge lässt Hohlbein am ersten Abend in den Tunnel gleiten. Alle kommen sicher im Westen an, darunter auch seine Mutter. Diese Aktion wird später als eine der erfolgreichsten Massenfluchten aus der DDR in die Geschichte eingehen. 57 Menschen erreichen an zwei Tagen Westberlin – daher der Name ‚Tunnel 57’. Doch mit diesem Namen ist auch das tragische Ende der Aktion verbunden:
Kurz vor Mitternacht kommen zwei weitere vermeintliche Fluchtwillige. Sie wollen unbedingt noch einen Freund nachholen, wie sie sagen. Doch in Wirklichkeit verraten sie den Tunnel. Die Fluchthelfer sitzen in der Falle.
Als Soldaten den Hof stürmen fallen mehrere Schüsse, auch ein Fluchthelfer schießt. Einer der Soldaten scheint getroffen! Die Fluchthelfer nutzen die Situation, um sich über den Hof zum Toilettenhäuschen zu retten.

12 O-TON Hubert Hohlbein:
So schnell bin ich noch nie gelaufen, weil wir doch befürchteten, dass sie uns gleich entdeckt hatten, wie wir dort verschwanden. Und es ist nicht das erste Mal gewesen, dass dann Granaten oder Handgranaten hinterhergeworfen worden sind. Und dann wären uns die Lungen zerfetzt worden in dieser engen Röhre.
Wir sind denn nur rasch rein in den Tunnel und wir haben uns dabei noch verkeilt und sind dann aber doch glücklich durchgekommen und so schnell wie möglich vom Osteingang zum Westausgang gerobbt.
TC 17:01 - Aufarbeitung

SPRECHERIN:
Als sie in der Bäckerei ankommen, herrscht Erleichterung. Doch bereits am nächsten Morgen folgt der Schock. Wie DDR Medien berichten, ist ein Grenzsoldat erschossen worden: der 21-jährige Unteroffizier Egon Schultz. Ein Grundschullehrer, der seinen Militärdienst ableistete. Sympathisch, allseits beliebt.
In den folgenden Wochen wird Egon Schultz zum Held stilisiert und die Fluchthelfer zu einer Bande Krimineller, die über Leichen geht.
Vor allem der Schütze, der Medizinstudent Christian Zobel, kann sich bis zu seinem Tod davon nicht mehr erholen.

13 O-TON Hubert Hohlbein:
Der machte sich natürlich große Gedanken, denn es war ja immerhin so, dass er tatsächlich geschossen hat, dass er einen getroffen hat. Aber das ist nun gleich tödlich war, das wollte er erstens gar nicht, und zweitens konnte er sich das auch kaum vorstellen. Und die Presse war jetzt aber auf diesem Trip im Osten, dass wir ihn bewusst erschossen haben. Und darunter litt er sehr, sehr, sehr...

SPRECHERIN:
Als Christian Zobel 1992 stirbt, ist er im festen Glauben, Egon Schultz erschossen zu haben, und in den Augen vieler Tausender Menschen steht er als Mörder da. Erst nach der Wende wird eine der ungeheuerlichsten Lügen der DDR Geschichte enthüllt.

14 O-TON DR MARIA NOOKE:
Wir wissen erst aus den Stasi-Unterlagen, dass es tatsächlich so war, dass der Fluchthelfer zwar irgendwie in seiner Panik mehrere Schüsse abgegeben hat, aber nicht gezielt. Und er hat den Grenzer mit einem Schuss getroffen. Das war ein Steckschuss, der aber nicht tödlich war. Und in dieser Situation hat der Stasi-Offizier dann einen Befehl zum Schießen gegeben, und einer der herbeigeholten Grenzsoldaten hat dann seine Kalaschnikow auf Dauerfeuer gestellt und in den Hof gehalten. Und dabei hat er seinen eigenen Kameraden hinterrücks erschossen.

SPRECHERIN:
Für Christian Zobel war es dann zwar schon zu spät, aber die Mutter von Egon Schultz und viele der anderen Fluchthelfer konnten die Wahrheit noch erfahren. Dr. Maria Nooke ist seit 2017 Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Sie kennt viele Fälle, in denen Betroffene erst durch die konsequente Aufarbeitung der DDR-Zeit beginnen können, mit ihrem Leben wieder klarzukommen.

15 O-TON DR MARIA NOOKE:
Aufarbeitung heißt, die Fakten auf den Tisch zu legen, auch das, was schwer zu ertragen ist, zu benennen und die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen, die auch unterschiedliche Positionen hatten und vielleicht auch heute noch unterschiedliche Positionen haben.

SPRECHERIN:
Mit unterschiedlichen Positionen hat Dr. Nooke Erfahrung. Als die zentrale Gedenkstätte der Mauertoten für die Stiftung Berliner Mauer erarbeitet wurde, setzte Sie sich dafür ein, auch die bei Fluchtversuchen im Dienst getöteten Grenzsoldaten als Opfer der Mauer zu würdigen. Auch ihre Bilder sollten mit den getöteten Flüchtlingen auf dem Fenster des Gedenkens erscheinen. Doch bis heute stehen ihre Namen nur auf einer Stele in unmittelbarer Nähe des Fensters.

16 O-TON DR MARIA NOOKE:
All diese Biographien zusammengenommen zeigen einfach diese Auswirkungen der Diktatur. Deswegen habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass auch die getöteten Grenzer mit auf das Fenster des Gedenkens kommen. Das ist dann im Ergebnis der sehr kontrovers geführten Diskussion mit einer knappen Mehrheit im Beirat dagegen entschieden worden. Ich halte das bis heute für falsch.

Musik

SPRECHERIN:
Wer am Fenster des Gedenkens entlang geht, dem schauen die Gesichter der Maueropfer von Schwarzweiß-Fotos entgegen: Es sind viele junge Männer darunter, aber auch Kinder und Frauen. Sie alle wollten um jeden Preis raus aus der DDR. Ihr Tod zeugt auch davon, dass mit dem Mauerbau die kommunistische Utopie von einem besseren Leben endgültig zu Ende geht.

17 O-TON DR MARIA NOOKE:
Es gibt eine Filmaufnahme von einer Unterrichtstunde zum Thema Mauerbau aus dem 75 oder 76 was in der Humboldt Universität mitgeschnitten wurde und da sieht man wie die Jugendlichen, 10. Klasse, sich diesem Thema annähern und wie die Lehrerin sich müht, ihnen klar zu machen, dass der Mauerbau notwendig war, um den Weltfrieden zu erhalten, und dass das eben ein Antifaschistischer Schutzwall war, und wenn man sich die Jugendlichen ansieht, dann sieht man, dass es sie nur langweilt. Es langweilt sie und es interessiert sie nicht, und sie beten das von ihnen Geforderte daher; aber man merkt, dass es nicht Überzeugung ist und das ist so typisch für diese Zeit, also das ist genau meine Generation, so habe ich das auch erlebt in der Schule, dass man etwas vermittelt bekam, was aber nicht in den Herzen der Kinder und Jugendlichen gelandet ist.

Musik

SPRECHERIN:
Spätestens die Generation nach dem Mauerbau kann die Partei mit Begriffen wie „antifaschistischer Schutzwall“ also nicht mehr erreichen.
TC 22:13 – Outro

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Victor Klemperer hat in seinen Tagebüchern die großen Umbrüche notiert – von der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis zum ersten Jahrzehnt der DDR. Host und Historikerin Leonie Schöler nimmt uns in diesem Podcast mit in die Welt eines deutschen Zeitzeugen. ZUM PODCAST

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MDR (2023): Wir Kinder der Mauer
Der Tag des Mauerbaus bestimmt auf lange Zeit das Leben vieler Kinder und Jugendlicher. Mehr noch als die Erwachsenen sind sie dem Geschehen total ausgeliefert, sind ohnmächtig in Bezug auf Politik und familiäre Entscheidungen. 28 Jahre lang sind Mauer und Stacheldraht eine vorgefundene Realität in ihrem Leben. Manche lehnen sich gegen ihren vorgezeichneten Lebensweg auf, andere finden sich mit der Teilung ab, die Familien auseinandergerissen, Menschen entwurzelt und Liebende getrennt hat. JETZT ANSEHEN

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Der Mauerbau vor knapp 60 Jahren hat nicht nur die Gesellschaft in Ost und West getrennt, sondern auch die Literatur. Die Mauer war eine künstlerische Einschränkung, aber sie hat auch zur literarischen Auseinandersetzung angeregt. JETZT ANHÖREN


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Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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25. Juli 1961: John F. Kennedy ist angespannt. Er soll in Washington eine Rede zur aktuellen Berlinkrise halten. Er hat enorme Rückenschmerzen. Ohne ein Stützkorsett unter dem Anzug und eine Dosis Kortison wäre sein Auftritt nicht möglich. Der 44-jährige Präsident ist gerade mal sechs Monate im Amt.
Seitdem sind die Verhandlungen mit Chruschtschow zur Berlinkrise gescheitert. Der russische Ministerpräsident hat sein Ultimatum erneuert: Er fordert, Berlin den Status einer entmilitarisierten, wie er sagt, „freien Stadt“ zu geben. Dahinter steckt auch der langfristige Plan, die Westsektoren nach und nach in die DDR einzuverleiben. Sollten die Westmächte seiner Forderung innerhalb eines halben Jahres nicht zustimmen, will er einen separaten Friedensvertrag mit der DDR schließen, der die Besatzungsrechte der Alliierten in West-Berlin aufhebt. Ansonsten schrecke er auch vor militärischen Mitteln nicht zurück. Die Erwartungen an Kennedy’s Rede sind enorm.

1 O-TON KENNEDY REDE (WASHINGTON; 25 JULY 1961)
Good evening! Seven weeks ago tonight I returned from Europe to report on my meeting with Premier Khrushchev and the others. His grim warnings about the future of the world, his aide-memoire on Berlin, his subsequent speeches and threats which he and his agents have launched, and the increase in the Soviet military budget that he has announced, have all prompted a series of decisions by the Administration and a series of consultations with the members of the NATO organization.

ZITATOR / Üs Kennedy
Heute vor sieben Wochen bin ich aus Europa zurückgekehrt, um über mein Treffen mit Ministerpräsident Chruschtschow und den anderen zu berichten.

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In Berlin, as you recall, he intends to bring to an end, through a stroke of the pen, first our legal rights to be in West Berlin; and secondly our ability to make good on our commitments to two million people of that city. That we cannot permit.

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In Berlin will er erstens mit einem Federstrich unsere legalen Rechte auf Anwesenheit in Westberlin aufheben und zweitens uns die Möglichkeit nehmen, unsere Verpflichtungen gegenüber den zwei Millionen Einwohnern dieser Stadt zu erfüllen. Das können wir nicht zulassen.

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Kennedy spricht ausdrücklich von nur zwei Millionen Berlinern. Damit meint er ausschließlich die Westberliner, denn die Stadt hat insgesamt 3,3 Millionen Einwohner. Die Ostberliner, die jeden Monat zu Tausenden nach Westberlin fliehen - im Juli ´61 sind es über 30.000 Menschen - erwähnt Kennedy mit keinem Wort. Den Amerikanern geht es um Westberlin, das nicht nur eines der wichtigsten Spionage-Zentren im Kalten Krieg ist, sondern der Weltöffentlichkeit auch das Mächteringen vorführt. Die ganze Welt blickt auf Berlin und Kennedy will die politische Zuverlässigkeit der USA demonstrieren. Er macht klar, dass er Westberlin auf keinen Fall aufgeben wird:

3 O-TON KENNEDY REDE (WASHINGTON; 25 JULY 1961)
Thus, our presence in West Berlin, and our access there to, cannot be ended by any act of the Soviet Government...

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Unsere Präsenz in West-Berlin kann durch keinen Akt der Sowjetregierung beendet werden.

SPRECHERIN:
Aus Kennedys Rede lassen sich drei essentielle Forderungen ableiten - die „three essentials“, deren Verletzung militärische Folgen haben würde: die Besatzungsrechte der Alliierten in West-Berlin, der freie Zugang nach West-Berlin und die Freiheit der West-Berliner. Fünf Tage später erklärt James Fulbright, der wichtigste außenpolitische Berater Kennedys, im US Fernsehen, dass er nicht verstehe, warum die ostdeutsche Grenze nicht einfach zugemacht würde. (...) wenn die Russen nächste Woche die Grenze schließen würden, könnten sie das tun, ohne einen einzigen Vertrag zu verletzen. Als ihn Kennedy darauf hin nicht zurückpfeift, ist endgültig klar: Die USA setzen einer Grenzschließung nichts entgegen. Und die scheint der DDR dringend nötig, denn die Bürger laufen ihr buchstäblich davon.
TC 04:13 – Von heute auf morgen

Musik

SPRECHERIN:
Spätestens im Juli lässt sich Chruschtschow vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht umstimmen. Ulbricht hatte zwar noch im Juni verkündet: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“. Doch das hält ihn angesichts der dramatischen Flüchtlings-Situation nicht davon ab, genau das doch zu tun.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August wird die Grenze abgeriegelt.
Hubert Hohlbein erinnert sich noch gut daran:

4 O-TON Hubert Hohlbein:
Mein Schulfreund und ich, am 12. August haben wir noch seine Freundin nach West-Berlin gebracht, haben dann auch ein Bier getrunken und nach zwölf Uhr nachts sind wir erst wieder zurückgefahren nach Ostberlin, und morgens um 8/9 Rundfunk gehört und da war natürlich die Aufregung groß. Berlin ist abgeriegelt, Ostberlin und Westberlin getrennt, Stacheldraht wird gezogen, Militär ist aufgefahren und haben die Grenzen dichtgemacht. Und da bin ich sofort zu meinem Freund, der hatte das noch nicht mitbekommen und der sagte: Komm wir fahren sofort zur Grenze und haben uns das angeschaut, wie das Militär schon den ersten Stacheldraht gezogen hat, und da sagte mein Freund, ohoh Du, das sieht aber ernsthaft aus. Da habe ich ihm noch das Geld, was ich noch in der Hand hatte, in die Hand gedrückt und dann sagt er, mach’s gut, Tschüss. Er ist über den Graben gesprungen, zack weg war er.

Musik

SPRECHERIN:
In den Folgetagen kommt es zu dramatischen Szenen. Menschen versuchen um jeden Preis zu fliehen, sie springen über Stacheldrahtverhaue oder lassen sich aus Fenstern von Häusern fallen, die direkt an der Grenze liegen. Sie wollen zu ihren Familien und Freunden oder schlicht und ergreifend raus aus der DDR.
Viele Berliner haben zwar damit gerechnet, dass etwas passieren würde, um die immer größer werdenden Flüchtlingsströme aufzuhalten, aber eine Mauer quer durch die Stadt war für die Meisten unvorstellbar. Allein 50.000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz im Westen.

5 O-TON Hubert Hohlbein
Innerhalb des Ostens, zwischen Ostdeutschland und Ost-Berlin gab es ja schon diese Grenze und da hatten wir in Ost-Berlin gedacht, also wenn sich das hier weiter so entwickelt, dann können eben die Leipziger nicht mehr direkt nach Ost-Berlin reisen. Es heißt, die werden abgefangen. Da werden die Grenzen um Berlin herum gemacht. Man konnte sich das nicht vorstellen, dass es innerhalb Berlin so ganz abgeriegelt wird, aber eine totale Abgrenzung, wies nachher die Mauer war, das konnte sich keiner vorstellen.

SPRECHERIN:
Während in Berlin auf beiden Seiten die Menschen zur Mauer strömen, um sich mit eigenen Augen des Unvorstellbaren zu vergewissern, setzt sich auf der Ostseite der Parteiapparat in Bewegung. Am 13. August ist die gesamte Staatssicherheit der DDR in Bereitschaft. Wer im Urlaub ist, muss zurückkommen. Größere Proteste in der DDR müssen um jeden Preis verhindert werden.
TC 06:54 – Der „antifaschistische Schutzwall“

6 O-TON DR MARIA NOOKE:
Da gab es zweistündige Berichte aus allen Kreisen, Bezirken hoch zum Ministerium, wie die Situation und die Reaktionen der Bevölkerung sind. Man hat unheimlich viele Leute verhaftet, wenn da jemand betrunken einfach mal auf Ulbricht schimpfte, dann war das schon ein Haftgrund. Die Gefängnisse füllten sich, sodass also auch eine innenpolitische Situation der Angst geschaffen wurde. Und parallel dazu hat man dann auch die Bevölkerung aufgerufen, sich mit den Maßnahmen der Regierung zu solidarisieren. Also, da gab es Unterschriftenlisten, da gab es im Radio Sendung dazu, wo sich also vor allem auch Kulturschaffende - das macht mich heute noch fassungslos, dass sie sich dazu hergegeben haben - dann die Maßnahmen zu begrüßen und zu sagen, damit wird jetzt der Frieden gerettet.

SPRECHERIN:
Die Geschwindigkeit mit der die SED ihre Bürger auf den Mauerbau einschwört und Gegner einschüchtert, trägt dazu bei, dass es in der DDR verhältnismäßig ruhig bleibt. DDR-Bürgerinnen und Bürgern wird eingeimpft, dass die Mauer ein Schutzwall sei, der die Rettung des Weltfriedens zu verdanken sei. Und ab 1962 wird die Mauer dann ganz offiziell „antifaschistischer Schutzwall“ genannt.
Doch selbst Kennedy soll nach dem Mauerbau einem Mitarbeiter gesagt haben, dass die Mauer zwar keine schöne Lösung sei, aber auf jeden Fall besser als Krieg. War die Mauer das kleinere Übel? Hat sie vielleicht sogar einen dritten Weltkrieg verhindert?

7 O-TON DR MARIA NOOKE:
Es ist ja die große Frage, ob es wirklich zum Atomschlag gekommen wäre. Das war ja die Drohkulisse. Aber das sind alles hypothetische Fragen, was passiert wäre, wenn die Amerikaner eingegriffen hätten. (…) Das heißt, 1961 war eine hochbrisante politische Situation, sowohl innenpolitisch als auch weltpolitisch, die eben glücklicherweise nicht eskaliert ist, aber natürlich mit den Folgen, die die DDR Bevölkerung zu tragen hatte.
TC 09:20 – Blutige Schicksale

SPRECHERIN:
Hunderte von Biografien hat Maria Nooke erforscht und dokumentiert: darunter politische Häftlinge, Familien von Flüchtlingen, die im Osten meist jahrelang Repressionen erleiden mussten und natürlich die Maueropfer selbst. Bereits am 24. August erschossen Grenzsoldaten den ersten Flüchtling. Der 24-jährige Günter Litfin starb an einem Schuss in den Hinterkopf. Mindestens 139 Menschen sollten ihm über die Mauerjahre in den Tod folgen. Die Hälfte davon allein in den ersten fünf Jahren nach dem Mauerbau.

Musik

SPRECHERIN:
Weltweit bekannt wird der Tod des Mauerers Peter Fechter, denn ein mutiger Fotograf dokumentiert das Drama. Am 17. August 1962 flüchtet der 18- jährige während seines Dienstes. Er hat bereits die letzte Barriere des Todesstreifens erreicht und beginnt die Mauer emporzuklettern, als ihn das Feuer seiner Ostberliner Kollegen trifft. Er fällt schwer verletzt in den Todesstreifen zurück und ruft um Hilfe – vergeblich. Hubert Hohlbein erinnert sich:

8 O-Ton Hubert Hohlbein:
„Man konnte rüberblicken, man konnte über die Mauer schauen. Es waren Amerikaner da gewesen, amerikanischer Soldat. Keiner hat es gewagt, diesem langsam verblutenden Flüchtling zu helfen. Und erst nach über einer Stunde sind ostdeutsche Grenzsoldaten hingegangen und haben mehr oder weniger dann den Leichnam abtransportiert. Er war verblutet...
SPRECHERIN:
Fechters Tod wird zum Symbol für die Grausamkeit des Grenzsystems und bringt immer mehr Menschen gegen das DDR Regime auf. Darunter auch Hubert Hohlbein. Er ist später an einer der erfolgreichsten Fluchtaktionen beteiligt: dem Tunnel 57. Doch zunächst muss er selbst fliehen. Denn 1962 lebt er noch in Ostberlin bei seiner Mutter, die er zunächst nicht alleine lassen will, da der Vater erst ein Jahr vor dem Mauerbau gestorben ist. Doch obwohl die Mutter einer Flucht positiv gegenübersteht, kann er sie zu Beginn des Mauerbaus von seiner ersten Fluchtidee nicht überzeugen.

9 O-Ton Hubert Hohlbein:
Und dann hab ich versucht zu sagen komm als Familie, wir nehmen unseren Lastwagen, den großen, den wir bauen wir ein bisschen um, Sandsäcke hinten drauf, des war ein großer Lastwagen mit Allradantrieb sogar, wir fahren durch die Mauer, das hätte ich gerne gemacht, aber da hatte Muttern Angst, Schwester hatte Angst, Schwager „ um Gottes Willen“, dann sag ich, na gut, dann mach ich das irgendwann mal alleine und dann habe ich mich darauf vorbereitet, das alleine zu machen.

SPRECHERIN:
Gesagt, getan: mehrere Monate bereitet er sich auf seine Flucht vor. Sein Plan: er will in die Freiheit schwimmen. Zwei Kilometer von der Alten Meierei in Potsdam über den Jungfernsee nach Westen. Dazu trainiert Hubert fast ein ganzes Jahr - auch im Winter. Um sich abzuhärten, taucht er unter Eis, lernt über zwei Minuten die Luft anzuhalten. Sieben Kilo Blei trägt er um die Hüfte, um im Wasser keine Wellen zu schlagen.
TC 12:31 – Übers Wasser, durch die Erde

Musik

SPRECHERIN:
Am 21. November 1963 ist es soweit. Gegen 22 Uhr schwimmt er los. Es ist klirrend kalt. Sein Körper ist vollkommen vom Wasser bedeckt. Nur seine Schnorchelspitze könnte ihn jetzt noch verraten. Doch als er auf der Mitte des Sees ankommt, wird es plötzlich taghell über ihm. Scheinwerfer suchen das Wasser ab!

10 O-TON Hubert Hohlbein:
Ich dachte, Oh, Haben die mich jetzt im Visier, oder ist es nur ein Routineableuchten? Jedenfalls hab ich dann kurz ausgeatmeten und durch mein vieles Blei, was ich um hatte, bin ich sofort ein paar Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche verschwunden. Und ich wusste, ich kann so circa zwei Minuten oder etwas mehr, die Luft anhalten und in der Hoffnung, dass dann wirklich das Licht weg war. Und so war es dann auch. Als dann ich wieder auftauchen musste, war das Licht denn auch vorüber und ich habe mich dann gleich noch mal orientiert. Wie weit hätt ich es denn noch? Es war nicht mehr so weit.

SPRECHERIN:
Nach eineinhalb Stunden im eiskalten Wasser, kommt Hubert Hohlbein unweit des Fernmeldeturms an. Westdeutsche Polizisten haben ihn schon beobachtet und bringen ihn zum Aufwärmen in die nächstgelegene Station. Seine geglückte Flucht macht Hubert Hohlbein Mut - Mut auch anderen zu helfen. Wenige Monate nach seiner gelungenen Flucht schließt er sich im Frühjahr `64 der Fluchthelfergruppe um Wolfgang Fuchs an. Die plant einen Fluchttunnel vom Keller einer stillgelegten Bäckerei in der Bernauer Straße unter dem Todesstreifen hindurch nach Ostberlin.

Musik

SPRECHERIN:
Über ein halbes Jahr lang graben bis zu 35 Mann einen 12 Meter tiefen Schacht. Die Fluchthelfer arbeiten unentgeltlich in Schichten, leben spartanisch tagelang am Stück in den Kellerräumen. Am 2. Oktober `64 ist es so weit: Der Tunnel ist nun 145 Meter lang. Das Ziel, einen Keller in der Strelitzer Straße, haben die Studenten zwar verfehlt, doch dafür landen sie im Innenhof des Hauses - in einem stillgelegten Klohäuschen. Die perfekte Tarnung. Bereits am Abend des nächsten Tages soll die Aktion starten. Vier Fluchthelfer robben durch den Tunnel in den Osten, um dort die Flüchtlinge im Innenhof des Hauses zu empfangen. Einer der Helfer ist Hubert Hohlbein:

11 O-TON Hubert Hohlbein:
Dieses Draußen-stehen in dem Moment, so hilflos, wir waren zwar allerdings mit einer Pistole bewaffnet, aber wir hatten es eigentlich nur für unsere eigene Beruhigung dabei. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir sie unbedingt brauchen würden. Und dann, wie die ersten Flüchtlinge kamen, das war natürlich ein innerer Jauchzer, dass es nun so weit geklappt hat, dass ich den ersten Flüchtling jetzt ins Loch runtergelassen habe, das war meine Aufgabe in unserer Vierertruppe und der dann nun verschwand, da dachte ich, so, ein haben wir jetzt erst mal durch.

Musik

SPRECHERIN:
28 Flüchtlinge lässt Hohlbein am ersten Abend in den Tunnel gleiten. Alle kommen sicher im Westen an, darunter auch seine Mutter. Diese Aktion wird später als eine der erfolgreichsten Massenfluchten aus der DDR in die Geschichte eingehen. 57 Menschen erreichen an zwei Tagen Westberlin – daher der Name ‚Tunnel 57’. Doch mit diesem Namen ist auch das tragische Ende der Aktion verbunden:
Kurz vor Mitternacht kommen zwei weitere vermeintliche Fluchtwillige. Sie wollen unbedingt noch einen Freund nachholen, wie sie sagen. Doch in Wirklichkeit verraten sie den Tunnel. Die Fluchthelfer sitzen in der Falle.
Als Soldaten den Hof stürmen fallen mehrere Schüsse, auch ein Fluchthelfer schießt. Einer der Soldaten scheint getroffen! Die Fluchthelfer nutzen die Situation, um sich über den Hof zum Toilettenhäuschen zu retten.

12 O-TON Hubert Hohlbein:
So schnell bin ich noch nie gelaufen, weil wir doch befürchteten, dass sie uns gleich entdeckt hatten, wie wir dort verschwanden. Und es ist nicht das erste Mal gewesen, dass dann Granaten oder Handgranaten hinterhergeworfen worden sind. Und dann wären uns die Lungen zerfetzt worden in dieser engen Röhre.
Wir sind denn nur rasch rein in den Tunnel und wir haben uns dabei noch verkeilt und sind dann aber doch glücklich durchgekommen und so schnell wie möglich vom Osteingang zum Westausgang gerobbt.
TC 17:01 - Aufarbeitung

SPRECHERIN:
Als sie in der Bäckerei ankommen, herrscht Erleichterung. Doch bereits am nächsten Morgen folgt der Schock. Wie DDR Medien berichten, ist ein Grenzsoldat erschossen worden: der 21-jährige Unteroffizier Egon Schultz. Ein Grundschullehrer, der seinen Militärdienst ableistete. Sympathisch, allseits beliebt.
In den folgenden Wochen wird Egon Schultz zum Held stilisiert und die Fluchthelfer zu einer Bande Krimineller, die über Leichen geht.
Vor allem der Schütze, der Medizinstudent Christian Zobel, kann sich bis zu seinem Tod davon nicht mehr erholen.

13 O-TON Hubert Hohlbein:
Der machte sich natürlich große Gedanken, denn es war ja immerhin so, dass er tatsächlich geschossen hat, dass er einen getroffen hat. Aber das ist nun gleich tödlich war, das wollte er erstens gar nicht, und zweitens konnte er sich das auch kaum vorstellen. Und die Presse war jetzt aber auf diesem Trip im Osten, dass wir ihn bewusst erschossen haben. Und darunter litt er sehr, sehr, sehr...

SPRECHERIN:
Als Christian Zobel 1992 stirbt, ist er im festen Glauben, Egon Schultz erschossen zu haben, und in den Augen vieler Tausender Menschen steht er als Mörder da. Erst nach der Wende wird eine der ungeheuerlichsten Lügen der DDR Geschichte enthüllt.

14 O-TON DR MARIA NOOKE:
Wir wissen erst aus den Stasi-Unterlagen, dass es tatsächlich so war, dass der Fluchthelfer zwar irgendwie in seiner Panik mehrere Schüsse abgegeben hat, aber nicht gezielt. Und er hat den Grenzer mit einem Schuss getroffen. Das war ein Steckschuss, der aber nicht tödlich war. Und in dieser Situation hat der Stasi-Offizier dann einen Befehl zum Schießen gegeben, und einer der herbeigeholten Grenzsoldaten hat dann seine Kalaschnikow auf Dauerfeuer gestellt und in den Hof gehalten. Und dabei hat er seinen eigenen Kameraden hinterrücks erschossen.

SPRECHERIN:
Für Christian Zobel war es dann zwar schon zu spät, aber die Mutter von Egon Schultz und viele der anderen Fluchthelfer konnten die Wahrheit noch erfahren. Dr. Maria Nooke ist seit 2017 Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Sie kennt viele Fälle, in denen Betroffene erst durch die konsequente Aufarbeitung der DDR-Zeit beginnen können, mit ihrem Leben wieder klarzukommen.

15 O-TON DR MARIA NOOKE:
Aufarbeitung heißt, die Fakten auf den Tisch zu legen, auch das, was schwer zu ertragen ist, zu benennen und die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen, die auch unterschiedliche Positionen hatten und vielleicht auch heute noch unterschiedliche Positionen haben.

SPRECHERIN:
Mit unterschiedlichen Positionen hat Dr. Nooke Erfahrung. Als die zentrale Gedenkstätte der Mauertoten für die Stiftung Berliner Mauer erarbeitet wurde, setzte Sie sich dafür ein, auch die bei Fluchtversuchen im Dienst getöteten Grenzsoldaten als Opfer der Mauer zu würdigen. Auch ihre Bilder sollten mit den getöteten Flüchtlingen auf dem Fenster des Gedenkens erscheinen. Doch bis heute stehen ihre Namen nur auf einer Stele in unmittelbarer Nähe des Fensters.

16 O-TON DR MARIA NOOKE:
All diese Biographien zusammengenommen zeigen einfach diese Auswirkungen der Diktatur. Deswegen habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass auch die getöteten Grenzer mit auf das Fenster des Gedenkens kommen. Das ist dann im Ergebnis der sehr kontrovers geführten Diskussion mit einer knappen Mehrheit im Beirat dagegen entschieden worden. Ich halte das bis heute für falsch.

Musik

SPRECHERIN:
Wer am Fenster des Gedenkens entlang geht, dem schauen die Gesichter der Maueropfer von Schwarzweiß-Fotos entgegen: Es sind viele junge Männer darunter, aber auch Kinder und Frauen. Sie alle wollten um jeden Preis raus aus der DDR. Ihr Tod zeugt auch davon, dass mit dem Mauerbau die kommunistische Utopie von einem besseren Leben endgültig zu Ende geht.

17 O-TON DR MARIA NOOKE:
Es gibt eine Filmaufnahme von einer Unterrichtstunde zum Thema Mauerbau aus dem 75 oder 76 was in der Humboldt Universität mitgeschnitten wurde und da sieht man wie die Jugendlichen, 10. Klasse, sich diesem Thema annähern und wie die Lehrerin sich müht, ihnen klar zu machen, dass der Mauerbau notwendig war, um den Weltfrieden zu erhalten, und dass das eben ein Antifaschistischer Schutzwall war, und wenn man sich die Jugendlichen ansieht, dann sieht man, dass es sie nur langweilt. Es langweilt sie und es interessiert sie nicht, und sie beten das von ihnen Geforderte daher; aber man merkt, dass es nicht Überzeugung ist und das ist so typisch für diese Zeit, also das ist genau meine Generation, so habe ich das auch erlebt in der Schule, dass man etwas vermittelt bekam, was aber nicht in den Herzen der Kinder und Jugendlichen gelandet ist.

Musik

SPRECHERIN:
Spätestens die Generation nach dem Mauerbau kann die Partei mit Begriffen wie „antifaschistischer Schutzwall“ also nicht mehr erreichen.
TC 22:13 – Outro

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