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Russland und seine Geheimdienste - Der lange Schatten des KGB

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Putin ist ehemaliger KGB-Agent. Das beeinflusst seine Politik und sein Weltbild. Doch wie einflussreich sind die russischen Geheimdienste bis heute? Haben sie den russischen Staat gekapert? Ein ehemaliger Spion kannte Putin persönlich und berichtet über den langen Schatten des KGB. Von Jerzy Sobotta

Credits
Autor dieser Folge: Jerzy Sobotta
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Hemma Michel, Andreas Neumann
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Sergei Jirnov, ehem. KGB-Agent
Mark Galeotti, britischer Geheimdienst- und Russland-Experte
† Andreas Hilger, Historiker und ehem. Leiter der Max-Weber-Stiftung in Tbilissi, Georgien

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Die Russische Welt aus Sicht des Kremls - Ruskij Mir HIER

Literatur:

Catherine Belton, „Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste.“ – ein beeindruckend recherchiertes Standartwerk über Putin, sein KGB-Netzwerk und den Aufstieg im Kreml.

Ein Heft der Zeitschrift Osteuropa (11/2022) zu Russlands Geheimdiensten: „Mit Mord und Tat“. Eine aktuelle Bestandaufnahme über Geschichte und Gegenwart der russischen Geheimdienste.

„Schwarzbuch Putin“, herausgegeben von Stéphane Courtois und Galia Ackermann mit wertvollen Beiträgen unter anderem zu Putins Zeit beim KGB und den Geheimdienstaktionen Russlands im Westen und der Ukraine.

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN:

Moskau im Winter 1999: Im Hauptquartier des Inlandsgeheimdienstes FSB am Lubjanka-Platz wird ein Fest begangen: Der „Tschekisten-Tag“, ein staatlicher Gedenktag, der den Mitarbeitern der Sicherheitsorgane Russlands gewidmet ist. Am Rednerpult steht ein schlanker, blonder Mann: Wladimir Putin. Zwei Wochen später wird er Präsident der Russischen Föderation.

O-Ton 01: Putin am Tag der Tschekisten 20.12.1999 (10 Sek.) –

OV

Die Gruppe von FSB-Agenten, die verdeckt in der Regierung arbeitet, hat die erste Etappe ihrer Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

SPRECHERIN:

Auf seinem Gesicht scheint für eine Sekunde ein verstohlenes Grinsen auf. Agenten, die die Regierung infiltrieren? Nur ein kleiner Scherz für seine Geheimdienstkollegen, die hier versammelt im Saal sitzen? Oder eine denkwürdige Szene, die viel aussagt über Russlands Weg zurück in ein autoritäres System? Kurz zuvor war Putin noch ihr Chef: Als Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB – der Nachfolgeorganisation des sagenumwobenen sowjetischen Geheimdienstes KGB. In diesem hatte Putin 15 Jahre lang gedient und ihn als Oberstleutnant verlassen, als die die Sowjetunion zusammengebrochen ist.

Die Szene wirft viele Fragen auf: Über Putins Werdegang. Über seine brutale Politik nach Innen und Außen. Und über die Leute, die an seiner Seite die wichtigsten Stufen der Macht erklommen haben. Die Geschichte des KGB wirft einen langen Schatten auf das Land.

MUSIK ENDE

O-Ton 02: Breschnew eröffnet Olympia 1980 (0.13 – ohne OV) – (als Atmo) – darüber:

SPRECHERIN:

Zeitsprung zurück: Moskau im Sommer 1980.

O-Ton 03: OT: Eröffnung Olympia 1980 - Kommentator mit Hymne (aus: W5001960Z00)

(Auf Dt.:) Nun wird die olympische Flagge von acht berühmten sowjetischen Sportlern ins Stadion gebracht. [Nach Bedarf stehen lassen – oder als Atmo runter faden]

SPRECHERIN:

Besucher aus aller Welt kommen zu den Olympischen Sommerspielen in die Hauptstadt der Sowjetunion. Ein junger Student einer Moskauer Eliteuniversität hat einen Sommerjob gefunden: Sergei Jirnov [Сергей Жирнов / Sergej Žirnov, spr: [ʒirnov] – wie ‚Journal‘] sitzt in der Telefonauskunft der Olympiade. Er spricht fließend Französisch und verquatscht sich mit einem Franzosen– sie telefonieren zwei Stunden miteinander. Das ist verdächtig.

O-Ton 04: Jirnov: Verhör, Typ hieß Putin

OV

Da kam so ein Typ. Er hat gesagt: folgen Sie mir. Er hat mich in ein Auto gesetzt und in die KGB-Zentrale gebracht. Dann hat er mich zwei Stunden lang befragt. Und dieser Typ war Hauptmann Wladimir Wladimirowitsch Putin.

SPRECHERIN:

Jirnov ist damals 19, Putin 27 – Und zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren beim KGB – in seiner Geburtsstadt Leningrad. Doch zur Überwachung der Olympiade mit ihren vielen tausenden ausländischen Besuchern holt sich der KGB Verstärkung aus dem Rest des Landes.

O-Ton 05: OT Jirnov: Warum Dutzen Sie mich Genosse Putin?

OV

Im Verhör hat er mich plötzlich angefangen zu duzen. Ich habe ihm sofort gesagt: Wieso duzen Sie mich? Lassen Sie uns doch beim ‚Sie‘ bleiben, Genosse Putin.

SPRECHERIN:

Psychologische Spielchen im Verhör: Warum telefoniert ein Russe zwei Stunden mit einem Franzosen? Warum spricht er so gut Französisch? Putin habe seine Chance gewittert, sagt Jirnov.

O-Ton 06: Jirnov: KGBler will dich einknasten

OV

Es ist klar: Wenn einer beim KGB arbeitet, ist seine Aufgabe, dich einzusperren. Denn dann bekommt er ein neues Abzeichen, vielleicht etwas Geld. Vielleicht versetzen sie ihn nach Moskau. Jemand in der Spionageabwehr wird immer dann befördert, wenn er jemanden erwischt und ins Gefängnis steckt. Deswegen war es seine Aufgabe, mich einzusperren. Und meine Aufgabe war es, mich nicht einsperren zu lassen.

SPRECHERIN:

Jirnov lässt sich weder einsperren, noch einschüchtern. Doch in diesen zwei Stunden hat sich ihm das Bild vom KGB-Mann Wladimir Putin eingebrannt:

O-Ton 07: Jirnov: Eindruck von Putin

OV

Er wirkte wie ein absolut farbloser, verklemmter und provinzieller KGB-ler. Ich hatte den Eindruck, dass ihn die Macht berauscht. Wenn jemand die Macht hat, dich einzusperren, dann sieht man es ihm an: Gefällt ihm das oder nicht. Putin hat es offensichtlich gefallen, dass er mich in Gewahrsam hatte und in der KGB-Zentrale verhören konnte.

SPRECHERIN:

so der Eindruck von Sergei Jirnov. Was beide zu dieser Zeit noch nicht wissen: Sie werden sich wieder begegnen. Vier Jahre später, an der Kaderschmiede des KGB: Am „Juri Andropow Rotbanner-Institut“ in Moskau. Denn auch Sergei Jirnov wird vom KGB angeworben. Ab 1984 werden beide im KGB-Institut auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet: Jirnow wird mehrere Jahre lang in Paris die französische Elite ausspionieren. Und Putin kommt in die DDR – allerdings nicht ins Spionen-Nest Ost-Berlin, sondern in die KGB-Residentur nach Dresden.

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier;

SPRECHERIN:

Viele Mythen ranken sich um Putins Einsatz in Dresden: War er ein Superspion? Verbindungsmann zur RAF, der Roten Armee Fraktion? Ein furchtloser Verteidiger, der Dresdner Demonstranten 1989 von der Schwelle zur KGB-Filiale vertreibt? Wenig davon dürfte wahr sein und noch weniger lässt sich belegen.

Der ehemalige KGB-Agent Sergei Jirnov hält Dresden für ein Abstellgleis, für eine Sackgasse in jeder Agenten-Karriere. Das Image eines ruchlosen Spions hat Putin sich erst verpasst, nachdem er 2000 Präsident geworden ist. Dabei sei Putin kein echter Spion gewesen – sondern ein Mann der Spionage-Abwehr:

O-Ton 08: Jirnov: Spione und Tschekisten

OV

Man sagt: Wenn du ein guter Tschekist bist, dann bist du ein schlechter Spion. Ein guter Tschekist, der jagt Spione und Verräter. Dafür braucht man Tschekisten. Und ein Spion? Der ist das Gegenteil: Er ist ein Bandit, der die Gesetze bricht und selbst von der feindlichen Spionageabwehr gejagt wird. Es ist eine ganz andere Psychologie: Der Polizist und der Bandit. Der Spion ist ein Bandit. Der Tschekist ist ein Polizist. Putin ist ein Tschekist. Denn er hat in der Tscheka gedient, er hat das Hirn eines Tschekisten. Und dann wollten sie aus ihm einen Spion machen: Aber das hat nicht geklappt.

MUSIK „Heart“; ZEIT: 00:45

SPRECHERIN:

Doch was ist ein Tschekist? Der Begriff führt an den Anfang der sowjetischen Geheimdienste ins Jahr der Oktoberrevolution 1917.

O-Ton 09: Lenin 1919 – Kurz hoch, ohne Overvoice, nur als Atmo.

(Original Grammophon-Aufnahme)

SPRECHERIN:

Lenin und die herrschenden Bolschewiki gründeten die „We-Tsche-Ka“: die „Allrussische außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution, Spekulation und Spionage“. Eine Geheimpolizei, die inmitten eines blutigen Bürgerkriegs die Macht der neuen Regierung absicherte. Eine Truppe für alle Aufgaben:

MUSIK ENDE

O-Ton 10: Hilger: Was macht die Tscheka

Wenn Arbeiter streikten, in dem neuen System, dann war die Tscheka auch dafür zuständig, diesen Streik zu unterdrücken. Sie war dafür zuständig, die Transportwege zu sichern gegen mögliche Überfälle, also den Eisenbahnverkehr zu sichern. Sie war dafür zuständig, Zwangsabgaben von der ländlichen Bevölkerung einzutreiben. Sie war dafür zuständig, Intellektuelle zu verfolgen und zu unterdrücken. Sie hat Massenmorde begangen in Aufstandsgebieten.

SPRECHERIN:

Andreas Hilger, Osteuropahistoriker: Er hat bis zu seinem Tod im Juni 2024 das Büro der Max-Weber-Stiftung in Georgien geleitet.

((O-Ton 11 entfällt))

Heroisch verklärte Gestalt der Tscheka war ihr erster Chef: Der polnische Revolutionär Feliks Dzierżyński [spr. Dseržinski [Dsierʒynski] – ž wie in ‚Journal‘], der wegen seines Fanatismus und der Hingabe an die Partei „eiserner Felix“ genannt wurde. Er galt als Vorbildfigur für den Tschekisten-Kult.

O-Ton 12: Hilger: Idealbild Tschekist

Also mit ‚Tschekist‘ verbindet sich bis heute ein vermeintliches Idealbild von Personen, die selbstlos für eine gute Sache eintreten, sich selber nicht schonen und hart aber gerecht gegenüber den Feinden sind.

SPRECHERIN:

Sagt Andreas Hilger. Das regimetreue Idealbild überdauerte den Namen der Geheimpolizei, der in den kommenden Jahrzehnten dauernd wechselte: Tscheka, GPU, OGPU, NKWD, MGB, KGB und schließlich FSB. Sinnbildlich verkörpert wurde der Kult von der meterhohen Dzierżyński-Bronzestatue. Sie stand vor der Geheimdienst-Zentrale Lubjanka – einem wuchtigen neo-barocken Gebäude aus gelbem Backstein mitten in Moskau.

O-Ton 13: Hilger: Lubjanka

Es ist natürlich der zentrale Ort von Repression, Überwachung, Verfolgung, von Andersdenkenden. Aber auch von Überwachung und Formung der gesamten Gesellschaft.

O-Ton 14: ATMO_Jubel Menschenmenge

SPRECHERIN:

Die unterdrückte Erinnerung bricht sich 1991 Bahn: Der August-Putsch reaktionärer Hardliner ist gerade abgewendet, da stürmen tausende Menschen vor die Lubjanka und reißen die Dzierżyński-Statue nieder. Für die Bevölkerung ein Symbol für das Leid, das der Geheimdienst über das Land gebracht hatte.

Äußerste Brutalität, Folter und Massenerschießungen gehörten schon seit seiner Gründung zum Instrumentenkasten. Doch seine mit Abstand blutigste Episode erreichte der Schrecken in der Stalin-Zeit, als die Welle des Terrors jeden einzelnen Bürger völlig willkürlich mit sich reißen konnte – direkt in den Tod, oder ins Lagersystem Gulag.

O-Ton 15: Hilger: Opferzahlen

Das sind fast um die 30 Millionen Häftlinge, die da geschätzt werden, die zu der einen oder anderen Zeit mal im Lager saßen. Mit Höhepunkten unter Stalin. Und die Dimension des großen Terrors spiegelt dann noch einmal diese Intensivierung wider: Mit rund 1,5 Millionen Verurteilungen zu Haftstrafen und mit fast 700.000 Todesurteilen in einer sehr kurzen Zeit.

SPRECHERIN:

Es folgen Deportationen ganzer Völkerschaften und die massenhafte Internierung von Heimkehrern aus deutscher Kriegsgefangenschaft, wegen angeblichen Verrats. Die Opferzahlen gehen in die Millionen.

Meist war der sowjetische Geheimdienst das Werkzeug der stalinistischen Repressionen.

MUSIK „Golden arrow“; ZEIT: 00:40

SPRECHERIN:

Das Ende der Sowjetunion bietet eine kurze Chance für einen Bruch mit dieser Geschichte: Doch eine komplette Neuaufstellung des Geheimdienstes, der damals fast eine halbe Million Menschen beschäftigt, findet unter Präsident Boris Jelzin nicht statt. Zwar wird der KGB offiziell aufgelöst und später in den Inlandsgeheimdienst FSB sowie den Auslandsgeheimdienst SWR aufgespalten. Doch ein großer Teil der Kader mit ihrer tschekistischen Kultur überdauern die Systemtransformation, sagt Osteuropa-Historiker Andreas Hilger.

MUSIK ENDE

O-Ton 16: Hilger: Keine Aufarbeitung

Weil man diese gesamte Vergangenheit des Dienstes nicht aufarbeitet. Kommissionen, die das in den Blick nehmen sollen, führen zu keinen Ergebnissen. Und es fehlt da einfach an diesem radikalen Schlussstrich und Umbruch, der nötig gewesen wäre.

SPRECHERIN:

Im Chaos der Neunziger-Jahre bleiben Teile der Geheimdienst-Mitarbeiter eine verschworene Gruppe, die sich in der neuen Ordnung zurechtfinden muss – neben Oligarchen, korrupten Politikern und der organisierten Kriminalität. Es sind vor allem die jüngeren, reformorientierten KGB-Funktionäre, die nicht nur dabei zusehen wollen, wie andere die Reichtümer des Landes plündern. Sie wollen ihren eigenen Anteil daran haben.

O-Ton 17 Jirnov: KGB war ein weiterer Bandit

OV

Die KGB-Leute wurden zu einer anderen Art von Banditen, die mit mafiösen Mitteln etwa Unternehmen vor anderen Banditen beschützen.

SPRECHERIN:

Sergei Jirnov quittiert zu dieser Zeit seinen Dienst beim KGB und widmet sich zivilen Berufen im Fernsehen und als Berater.

Zur gleichen Zeit sucht Wladimir Putin in Sankt Petersburg eine zivile Anstellung. Er ist gerade aus Dresden zurückgekehrt und hat gute Kontakte zu seinen früheren Kollegen, in die höchsten Spitzen des örtlichen KGB. Viele Experten vermuten, dass es ein wichtiger Grund war, für Putins kometenhaften Aufstieg, während der 1990er Jahre: Der beginnt als rechte Hand des Bürgermeisters von Petersburg. Er setzt sich ab 1996 im Moskauer Kreml fort. Dort arbeitet sich Putin innerhalb kürzester Zeit zum stellvertretenden Chef der mächtigen Präsidialverwaltung unter Boris Jelzin hoch und wird später unter anderem zum Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB ernannt.

O-Ton 18: ATMO_Yeltsin Resignation (kein OV), darüber:

SPRECHERIN:

Die Krönung dieser Karriere erfolgt am Silvesterabend, der das neue Jahrtausend einläutet: Boris Jelzin, politisch und gesundheitlich angeschlagen, gibt in der Neujahrsansprache im Fernsehen seinen Rücktritt bekannt – und seien Nachfolger: Wladimir Putin.

# Jelzin nochmal kurz hoch (ohne OV)

((Hier wird ein Mann zum Präsidenten ernannt, der bis dahin nie in einer Wahl aufgestellt wurde. Putin ist nicht als Politiker an die Macht gekommen, sagt Sergei Jirnov, den ehemalige KGB-Spion:

O-Ton 19: Jirnov: Putin ist kein Politiker

OV

Putin war nie ein Politiker. Er wurde nie gewählt. Er war nie Teil einer politischen Partei, außer der kommunistischen. Er hat die Karriere eines Beamten gemacht. Und das hat mit Politik nichts zu tun. In die Politik kam er als Resultat eines Staatsumsturzes. Sie haben ihn durch die Hintertüre in die Politik eingeführt. Er war nie ein Politiker.))

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier;

SPRECHERIN:

Putin hat vom ersten Tag an der Spitze des Staates bedeutende Posten seiner Regierung mit ehemaligen KGB-Kollegen besetzt. Ist er also Teil einer Gruppe von FSB-Agenten, die verdeckt in die Regierung eingeschleust wurde, um sie für den Geheimdienst zu unterwandern? – Wie er noch wenige Tage zuvor am „Tschekisten-Tag“ vor seinen FSB-Kollegen im KGB-Hauptquartier an der Lubjanka frotzelte... Ist er nur eine ausführende Marionette, die in fremden Auftrag handelt?

Nein, sagt der Geheimdienst-Experte Mark Galeotti [spr.: Ga-le-otti]:

MUSIK ENDE

O-Ton 21: Galeotti: Putin ist nicht platziert

Ich glaube nicht für eine Sekunde daran, dass der Geheimdienst Putin gezielt als einen Agenten auf diesen Posten gesetzt hat. Aber wegen seiner Vergangenheit ist er sehr loyal gegenüber den Mitgliedern der Dienste und hält viel auf sie. Doch das führt nicht dazu, dass sie ihm sagen können, was er machen soll.

SPRECHERIN:

Die Geheimdienste sind keine geheime Macht, die aus dem Verborgenen heraus die russische Politik steuert. Aber sie sind wichtig, weil Putin als ehemaliger KGB-Mitarbeiter den Geheimdiensten eine wichtige Rolle zukommen lässt.

O-Ton 22: Galeotti: Personalistisches System

OV

Das zeigt die personalistische Natur dieses Regimes. Wir sehen, dass er sich Menschen zuwendet, denen er schon lange nahestand. Aber das heißt nicht, dass die Geheimdienste das System dominieren.

SPRECHERIN:

Sagt Mark Galeotti vom britischen Thinktank “Royal United Services Institute”. Er ist einer der bedeutendsten Experten für russische Sicherheitspolitik.

In den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Macht hat Putin ein System errichtet, das Politikwissenschaftler als Machtvertikale bezeichnen: Alle Institutionen und Personen in Russland sind auf den Präsidenten ausgerichtet. Und der erwartet von seinen Untergebenen Loyalität, Abhängigkeit und Gehorsam, sagt Mark Galeotti.

O-Ton 23: Galeotti: KGB-ler teilen sein Weltbild

OV

Putin wählt sich Leute aus dem ehemaligen KGB, weil sie eine Gemeinsamkeit mit ihm haben: Sie teilen sein paranoides und nationalistisches Weltbild. Das sind die Einstellungen, die an Putins Hof vorherrschen – und sie sind der Grund dafür, dass er so viele dieser Veteranen an die Spitze seines Systems gesetzt hat.

SPRECHERIN:

Dieses Weltbild prägt das Handeln des russischen Staates – nach innen wie nach außen, sagt Osteuropa-Historiker Andreas Hilger. Es ist die Denkweise der ehemaliger KGB-Funktionäre:

O-Ton 24: Hilger: Weltbild - Überall Feinde

Die klare Überzeugung von Gegnern, die das russische Reich damals, dann die Sowjetunion und jetzt wieder Russland bedrohen. Die von außen tätig werden, die aber auch im Innern Russlands versuchen, die Gesellschaft zu zersetzen. Und die letztendlich mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen sind.

SPRECHERIN:

Das ist der lange Schatten des KGB. Sinnbildlich wird er im September 2023, als im Innenhof des Auslandsgeheimdienstes SWR ein Denkmal enthüllt wird. Es ist die Bronzestatue vom Tscheka-Chef Feliks Dzierżyński, die vor mehr als dreißig Jahren von der Menschenmenge heruntergerissen wurde. Heute sei Dzierżyński wieder eine der „wichtigsten moralischen Leitlinien geworden“ sagt der Behördenchef des SWR feierlich bei der Einweihung.

MUSIK „Armory“; ZEIT: 01:15

SPRECHERIN:

Welche konkreten Aufgaben haben die Geheimdienste in Russland? Welche Rolle spielen sie in Putins System?

O-Ton 25: Galeotti: Taschenmesser – ohne OV

The intelligence community is Putin’s Swiss Army knife. It’s his universal tool, whenever he has something that needs doing.

SPRECHERIN:

Sie sind sein Schweizer Taschenmesser, sagt Russland-Experte Mark Galeotti. Sie dienen einzig den Bedürfnissen des Herrschers, je nach tagespolitischen Bedürfnissen des Augenblicks. Zu Beginn von Putins Präsidentschaft haben sie die politische Konkurrenz ausgeschaltet und die Macht der Oligarchen eingehegt. Dann waren sie für die Unterdrückung von Massenprotesten verantwortlich, die Einschüchterung von Medien und Oppositionellen. Es folgten gezielte Tötungen, Giftanschläge. Und schließlich Desinformations-Kampagnen, Unterstützung ausländischer Politiker und Parteien, Vorbereitungen von Aufständen und Militärinvasionen. Dabei richten sich viele Angriffe auch gegen den Westen. Denn Putin sieht sich im Krieg gegen den Westen, sagt Mark Galeotti.

MUSIK ENDE

O-Ton 26: Galeotti: Bilanz der Dienste

OV

Seine Geheimdienste arbeiten effizient und sind heute so beschäftigt, wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges. Einige ihrer taktischen Operationen waren sehr erfolgreich. Aber insgesamt fällt ihre Bilanz phänomenal schlecht aus. Das Problem ist: Putin hat über lange Zeit ein System aufgebaut, in dem er gesagt bekommt, was er hören will – nicht was er wissen muss. Und das ist die größte Sünde in der Geheimdienstarbeit.

SPRECHERIN:

Jeden Morgen liest Wladimir Putin die Dossiers seiner Geheimdienste: Die Geheimdienste bestimmen das Bild, das er von der Welt hat, noch bevor er mit Diplomaten oder Beratern spricht. Allerdings haben sie ein entscheidendes Problem: Putin mag keine schlechten Nachrichten, sagt Mark Galeotti:

SPRECHERIN:

Das führt dazu, dass er ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit hat: Etwa, dass sein Militär in wenigen Tagen die Ukraine einnehmen kann.

Aber zu Fehleinschätzungen neigt man nicht nur im Kreml, sondern auch im Westen.

O-Ton 28: Galeotti: Überschätzung Putins

OV

Die Angriffe der russischen Geheimdienste gegen den Westen sind viel weniger erfolgreich, als viele Menschen fürchten. Zu oft nehmen wir die die Russen als Alibi her für Dinge, die wir nicht mögen. Etwa, wenn die falsche Person gewählt wird oder ein Referendum den falschen Ausgang nimmt. – Dann ist es einfach, Putin dafür verantwortlich zu machen.

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier; Label: Hollywood Records – D0001911602; Interpret: Gavin Greenaway; Komponist: Henry Jackman; ZEIT: 01:30

SPRECHERIN:

Sagt Mark Galeotti. Die gesellschaftlichen Spannungen im Westen seien hausgemacht. Russische Einflussoperationen können sich nur die Probleme zunutze machen, die ohnehin schon da sind. Sie können Stimmungen verstärken, Zweifel und Widersprüche ausnutzen. Aber sie können sie nicht erfinden.

SPRECHERIN:

Eine schwierige Gratwanderung also: Man darf den langen Schatten des KGB nicht verkennen. Die Gewalt, mit der er Russlands Elite, ihre Denkweise und die Gesellschaft beherrscht. Die Aggression, mit der er sich gegen seine Nachbarn und den Westen richtet. Aber nicht alles, was in Russland passiert, wird vom Geheimdienst gesteuert. Nicht alle, die Putin unterstützen, sind seine Agenten. Sieht man nur noch Geheimdienste am Werk, dann ist man selbst ihrem Bann verfallen: ihrer Paranoia und ihrem Hang zur Verschwörung.


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Putin ist ehemaliger KGB-Agent. Das beeinflusst seine Politik und sein Weltbild. Doch wie einflussreich sind die russischen Geheimdienste bis heute? Haben sie den russischen Staat gekapert? Ein ehemaliger Spion kannte Putin persönlich und berichtet über den langen Schatten des KGB. Von Jerzy Sobotta

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Autor dieser Folge: Jerzy Sobotta
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Hemma Michel, Andreas Neumann
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz

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Sergei Jirnov, ehem. KGB-Agent
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† Andreas Hilger, Historiker und ehem. Leiter der Max-Weber-Stiftung in Tbilissi, Georgien

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Catherine Belton, „Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste.“ – ein beeindruckend recherchiertes Standartwerk über Putin, sein KGB-Netzwerk und den Aufstieg im Kreml.

Ein Heft der Zeitschrift Osteuropa (11/2022) zu Russlands Geheimdiensten: „Mit Mord und Tat“. Eine aktuelle Bestandaufnahme über Geschichte und Gegenwart der russischen Geheimdienste.

„Schwarzbuch Putin“, herausgegeben von Stéphane Courtois und Galia Ackermann mit wertvollen Beiträgen unter anderem zu Putins Zeit beim KGB und den Geheimdienstaktionen Russlands im Westen und der Ukraine.

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SPRECHERIN:

Moskau im Winter 1999: Im Hauptquartier des Inlandsgeheimdienstes FSB am Lubjanka-Platz wird ein Fest begangen: Der „Tschekisten-Tag“, ein staatlicher Gedenktag, der den Mitarbeitern der Sicherheitsorgane Russlands gewidmet ist. Am Rednerpult steht ein schlanker, blonder Mann: Wladimir Putin. Zwei Wochen später wird er Präsident der Russischen Föderation.

O-Ton 01: Putin am Tag der Tschekisten 20.12.1999 (10 Sek.) –

OV

Die Gruppe von FSB-Agenten, die verdeckt in der Regierung arbeitet, hat die erste Etappe ihrer Aufgabe erfolgreich abgeschlossen.

SPRECHERIN:

Auf seinem Gesicht scheint für eine Sekunde ein verstohlenes Grinsen auf. Agenten, die die Regierung infiltrieren? Nur ein kleiner Scherz für seine Geheimdienstkollegen, die hier versammelt im Saal sitzen? Oder eine denkwürdige Szene, die viel aussagt über Russlands Weg zurück in ein autoritäres System? Kurz zuvor war Putin noch ihr Chef: Als Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB – der Nachfolgeorganisation des sagenumwobenen sowjetischen Geheimdienstes KGB. In diesem hatte Putin 15 Jahre lang gedient und ihn als Oberstleutnant verlassen, als die die Sowjetunion zusammengebrochen ist.

Die Szene wirft viele Fragen auf: Über Putins Werdegang. Über seine brutale Politik nach Innen und Außen. Und über die Leute, die an seiner Seite die wichtigsten Stufen der Macht erklommen haben. Die Geschichte des KGB wirft einen langen Schatten auf das Land.

MUSIK ENDE

O-Ton 02: Breschnew eröffnet Olympia 1980 (0.13 – ohne OV) – (als Atmo) – darüber:

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Zeitsprung zurück: Moskau im Sommer 1980.

O-Ton 03: OT: Eröffnung Olympia 1980 - Kommentator mit Hymne (aus: W5001960Z00)

(Auf Dt.:) Nun wird die olympische Flagge von acht berühmten sowjetischen Sportlern ins Stadion gebracht. [Nach Bedarf stehen lassen – oder als Atmo runter faden]

SPRECHERIN:

Besucher aus aller Welt kommen zu den Olympischen Sommerspielen in die Hauptstadt der Sowjetunion. Ein junger Student einer Moskauer Eliteuniversität hat einen Sommerjob gefunden: Sergei Jirnov [Сергей Жирнов / Sergej Žirnov, spr: [ʒirnov] – wie ‚Journal‘] sitzt in der Telefonauskunft der Olympiade. Er spricht fließend Französisch und verquatscht sich mit einem Franzosen– sie telefonieren zwei Stunden miteinander. Das ist verdächtig.

O-Ton 04: Jirnov: Verhör, Typ hieß Putin

OV

Da kam so ein Typ. Er hat gesagt: folgen Sie mir. Er hat mich in ein Auto gesetzt und in die KGB-Zentrale gebracht. Dann hat er mich zwei Stunden lang befragt. Und dieser Typ war Hauptmann Wladimir Wladimirowitsch Putin.

SPRECHERIN:

Jirnov ist damals 19, Putin 27 – Und zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren beim KGB – in seiner Geburtsstadt Leningrad. Doch zur Überwachung der Olympiade mit ihren vielen tausenden ausländischen Besuchern holt sich der KGB Verstärkung aus dem Rest des Landes.

O-Ton 05: OT Jirnov: Warum Dutzen Sie mich Genosse Putin?

OV

Im Verhör hat er mich plötzlich angefangen zu duzen. Ich habe ihm sofort gesagt: Wieso duzen Sie mich? Lassen Sie uns doch beim ‚Sie‘ bleiben, Genosse Putin.

SPRECHERIN:

Psychologische Spielchen im Verhör: Warum telefoniert ein Russe zwei Stunden mit einem Franzosen? Warum spricht er so gut Französisch? Putin habe seine Chance gewittert, sagt Jirnov.

O-Ton 06: Jirnov: KGBler will dich einknasten

OV

Es ist klar: Wenn einer beim KGB arbeitet, ist seine Aufgabe, dich einzusperren. Denn dann bekommt er ein neues Abzeichen, vielleicht etwas Geld. Vielleicht versetzen sie ihn nach Moskau. Jemand in der Spionageabwehr wird immer dann befördert, wenn er jemanden erwischt und ins Gefängnis steckt. Deswegen war es seine Aufgabe, mich einzusperren. Und meine Aufgabe war es, mich nicht einsperren zu lassen.

SPRECHERIN:

Jirnov lässt sich weder einsperren, noch einschüchtern. Doch in diesen zwei Stunden hat sich ihm das Bild vom KGB-Mann Wladimir Putin eingebrannt:

O-Ton 07: Jirnov: Eindruck von Putin

OV

Er wirkte wie ein absolut farbloser, verklemmter und provinzieller KGB-ler. Ich hatte den Eindruck, dass ihn die Macht berauscht. Wenn jemand die Macht hat, dich einzusperren, dann sieht man es ihm an: Gefällt ihm das oder nicht. Putin hat es offensichtlich gefallen, dass er mich in Gewahrsam hatte und in der KGB-Zentrale verhören konnte.

SPRECHERIN:

so der Eindruck von Sergei Jirnov. Was beide zu dieser Zeit noch nicht wissen: Sie werden sich wieder begegnen. Vier Jahre später, an der Kaderschmiede des KGB: Am „Juri Andropow Rotbanner-Institut“ in Moskau. Denn auch Sergei Jirnov wird vom KGB angeworben. Ab 1984 werden beide im KGB-Institut auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet: Jirnow wird mehrere Jahre lang in Paris die französische Elite ausspionieren. Und Putin kommt in die DDR – allerdings nicht ins Spionen-Nest Ost-Berlin, sondern in die KGB-Residentur nach Dresden.

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier;

SPRECHERIN:

Viele Mythen ranken sich um Putins Einsatz in Dresden: War er ein Superspion? Verbindungsmann zur RAF, der Roten Armee Fraktion? Ein furchtloser Verteidiger, der Dresdner Demonstranten 1989 von der Schwelle zur KGB-Filiale vertreibt? Wenig davon dürfte wahr sein und noch weniger lässt sich belegen.

Der ehemalige KGB-Agent Sergei Jirnov hält Dresden für ein Abstellgleis, für eine Sackgasse in jeder Agenten-Karriere. Das Image eines ruchlosen Spions hat Putin sich erst verpasst, nachdem er 2000 Präsident geworden ist. Dabei sei Putin kein echter Spion gewesen – sondern ein Mann der Spionage-Abwehr:

O-Ton 08: Jirnov: Spione und Tschekisten

OV

Man sagt: Wenn du ein guter Tschekist bist, dann bist du ein schlechter Spion. Ein guter Tschekist, der jagt Spione und Verräter. Dafür braucht man Tschekisten. Und ein Spion? Der ist das Gegenteil: Er ist ein Bandit, der die Gesetze bricht und selbst von der feindlichen Spionageabwehr gejagt wird. Es ist eine ganz andere Psychologie: Der Polizist und der Bandit. Der Spion ist ein Bandit. Der Tschekist ist ein Polizist. Putin ist ein Tschekist. Denn er hat in der Tscheka gedient, er hat das Hirn eines Tschekisten. Und dann wollten sie aus ihm einen Spion machen: Aber das hat nicht geklappt.

MUSIK „Heart“; ZEIT: 00:45

SPRECHERIN:

Doch was ist ein Tschekist? Der Begriff führt an den Anfang der sowjetischen Geheimdienste ins Jahr der Oktoberrevolution 1917.

O-Ton 09: Lenin 1919 – Kurz hoch, ohne Overvoice, nur als Atmo.

(Original Grammophon-Aufnahme)

SPRECHERIN:

Lenin und die herrschenden Bolschewiki gründeten die „We-Tsche-Ka“: die „Allrussische außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution, Spekulation und Spionage“. Eine Geheimpolizei, die inmitten eines blutigen Bürgerkriegs die Macht der neuen Regierung absicherte. Eine Truppe für alle Aufgaben:

MUSIK ENDE

O-Ton 10: Hilger: Was macht die Tscheka

Wenn Arbeiter streikten, in dem neuen System, dann war die Tscheka auch dafür zuständig, diesen Streik zu unterdrücken. Sie war dafür zuständig, die Transportwege zu sichern gegen mögliche Überfälle, also den Eisenbahnverkehr zu sichern. Sie war dafür zuständig, Zwangsabgaben von der ländlichen Bevölkerung einzutreiben. Sie war dafür zuständig, Intellektuelle zu verfolgen und zu unterdrücken. Sie hat Massenmorde begangen in Aufstandsgebieten.

SPRECHERIN:

Andreas Hilger, Osteuropahistoriker: Er hat bis zu seinem Tod im Juni 2024 das Büro der Max-Weber-Stiftung in Georgien geleitet.

((O-Ton 11 entfällt))

Heroisch verklärte Gestalt der Tscheka war ihr erster Chef: Der polnische Revolutionär Feliks Dzierżyński [spr. Dseržinski [Dsierʒynski] – ž wie in ‚Journal‘], der wegen seines Fanatismus und der Hingabe an die Partei „eiserner Felix“ genannt wurde. Er galt als Vorbildfigur für den Tschekisten-Kult.

O-Ton 12: Hilger: Idealbild Tschekist

Also mit ‚Tschekist‘ verbindet sich bis heute ein vermeintliches Idealbild von Personen, die selbstlos für eine gute Sache eintreten, sich selber nicht schonen und hart aber gerecht gegenüber den Feinden sind.

SPRECHERIN:

Sagt Andreas Hilger. Das regimetreue Idealbild überdauerte den Namen der Geheimpolizei, der in den kommenden Jahrzehnten dauernd wechselte: Tscheka, GPU, OGPU, NKWD, MGB, KGB und schließlich FSB. Sinnbildlich verkörpert wurde der Kult von der meterhohen Dzierżyński-Bronzestatue. Sie stand vor der Geheimdienst-Zentrale Lubjanka – einem wuchtigen neo-barocken Gebäude aus gelbem Backstein mitten in Moskau.

O-Ton 13: Hilger: Lubjanka

Es ist natürlich der zentrale Ort von Repression, Überwachung, Verfolgung, von Andersdenkenden. Aber auch von Überwachung und Formung der gesamten Gesellschaft.

O-Ton 14: ATMO_Jubel Menschenmenge

SPRECHERIN:

Die unterdrückte Erinnerung bricht sich 1991 Bahn: Der August-Putsch reaktionärer Hardliner ist gerade abgewendet, da stürmen tausende Menschen vor die Lubjanka und reißen die Dzierżyński-Statue nieder. Für die Bevölkerung ein Symbol für das Leid, das der Geheimdienst über das Land gebracht hatte.

Äußerste Brutalität, Folter und Massenerschießungen gehörten schon seit seiner Gründung zum Instrumentenkasten. Doch seine mit Abstand blutigste Episode erreichte der Schrecken in der Stalin-Zeit, als die Welle des Terrors jeden einzelnen Bürger völlig willkürlich mit sich reißen konnte – direkt in den Tod, oder ins Lagersystem Gulag.

O-Ton 15: Hilger: Opferzahlen

Das sind fast um die 30 Millionen Häftlinge, die da geschätzt werden, die zu der einen oder anderen Zeit mal im Lager saßen. Mit Höhepunkten unter Stalin. Und die Dimension des großen Terrors spiegelt dann noch einmal diese Intensivierung wider: Mit rund 1,5 Millionen Verurteilungen zu Haftstrafen und mit fast 700.000 Todesurteilen in einer sehr kurzen Zeit.

SPRECHERIN:

Es folgen Deportationen ganzer Völkerschaften und die massenhafte Internierung von Heimkehrern aus deutscher Kriegsgefangenschaft, wegen angeblichen Verrats. Die Opferzahlen gehen in die Millionen.

Meist war der sowjetische Geheimdienst das Werkzeug der stalinistischen Repressionen.

MUSIK „Golden arrow“; ZEIT: 00:40

SPRECHERIN:

Das Ende der Sowjetunion bietet eine kurze Chance für einen Bruch mit dieser Geschichte: Doch eine komplette Neuaufstellung des Geheimdienstes, der damals fast eine halbe Million Menschen beschäftigt, findet unter Präsident Boris Jelzin nicht statt. Zwar wird der KGB offiziell aufgelöst und später in den Inlandsgeheimdienst FSB sowie den Auslandsgeheimdienst SWR aufgespalten. Doch ein großer Teil der Kader mit ihrer tschekistischen Kultur überdauern die Systemtransformation, sagt Osteuropa-Historiker Andreas Hilger.

MUSIK ENDE

O-Ton 16: Hilger: Keine Aufarbeitung

Weil man diese gesamte Vergangenheit des Dienstes nicht aufarbeitet. Kommissionen, die das in den Blick nehmen sollen, führen zu keinen Ergebnissen. Und es fehlt da einfach an diesem radikalen Schlussstrich und Umbruch, der nötig gewesen wäre.

SPRECHERIN:

Im Chaos der Neunziger-Jahre bleiben Teile der Geheimdienst-Mitarbeiter eine verschworene Gruppe, die sich in der neuen Ordnung zurechtfinden muss – neben Oligarchen, korrupten Politikern und der organisierten Kriminalität. Es sind vor allem die jüngeren, reformorientierten KGB-Funktionäre, die nicht nur dabei zusehen wollen, wie andere die Reichtümer des Landes plündern. Sie wollen ihren eigenen Anteil daran haben.

O-Ton 17 Jirnov: KGB war ein weiterer Bandit

OV

Die KGB-Leute wurden zu einer anderen Art von Banditen, die mit mafiösen Mitteln etwa Unternehmen vor anderen Banditen beschützen.

SPRECHERIN:

Sergei Jirnov quittiert zu dieser Zeit seinen Dienst beim KGB und widmet sich zivilen Berufen im Fernsehen und als Berater.

Zur gleichen Zeit sucht Wladimir Putin in Sankt Petersburg eine zivile Anstellung. Er ist gerade aus Dresden zurückgekehrt und hat gute Kontakte zu seinen früheren Kollegen, in die höchsten Spitzen des örtlichen KGB. Viele Experten vermuten, dass es ein wichtiger Grund war, für Putins kometenhaften Aufstieg, während der 1990er Jahre: Der beginnt als rechte Hand des Bürgermeisters von Petersburg. Er setzt sich ab 1996 im Moskauer Kreml fort. Dort arbeitet sich Putin innerhalb kürzester Zeit zum stellvertretenden Chef der mächtigen Präsidialverwaltung unter Boris Jelzin hoch und wird später unter anderem zum Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB ernannt.

O-Ton 18: ATMO_Yeltsin Resignation (kein OV), darüber:

SPRECHERIN:

Die Krönung dieser Karriere erfolgt am Silvesterabend, der das neue Jahrtausend einläutet: Boris Jelzin, politisch und gesundheitlich angeschlagen, gibt in der Neujahrsansprache im Fernsehen seinen Rücktritt bekannt – und seien Nachfolger: Wladimir Putin.

# Jelzin nochmal kurz hoch (ohne OV)

((Hier wird ein Mann zum Präsidenten ernannt, der bis dahin nie in einer Wahl aufgestellt wurde. Putin ist nicht als Politiker an die Macht gekommen, sagt Sergei Jirnov, den ehemalige KGB-Spion:

O-Ton 19: Jirnov: Putin ist kein Politiker

OV

Putin war nie ein Politiker. Er wurde nie gewählt. Er war nie Teil einer politischen Partei, außer der kommunistischen. Er hat die Karriere eines Beamten gemacht. Und das hat mit Politik nichts zu tun. In die Politik kam er als Resultat eines Staatsumsturzes. Sie haben ihn durch die Hintertüre in die Politik eingeführt. Er war nie ein Politiker.))

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier;

SPRECHERIN:

Putin hat vom ersten Tag an der Spitze des Staates bedeutende Posten seiner Regierung mit ehemaligen KGB-Kollegen besetzt. Ist er also Teil einer Gruppe von FSB-Agenten, die verdeckt in die Regierung eingeschleust wurde, um sie für den Geheimdienst zu unterwandern? – Wie er noch wenige Tage zuvor am „Tschekisten-Tag“ vor seinen FSB-Kollegen im KGB-Hauptquartier an der Lubjanka frotzelte... Ist er nur eine ausführende Marionette, die in fremden Auftrag handelt?

Nein, sagt der Geheimdienst-Experte Mark Galeotti [spr.: Ga-le-otti]:

MUSIK ENDE

O-Ton 21: Galeotti: Putin ist nicht platziert

Ich glaube nicht für eine Sekunde daran, dass der Geheimdienst Putin gezielt als einen Agenten auf diesen Posten gesetzt hat. Aber wegen seiner Vergangenheit ist er sehr loyal gegenüber den Mitgliedern der Dienste und hält viel auf sie. Doch das führt nicht dazu, dass sie ihm sagen können, was er machen soll.

SPRECHERIN:

Die Geheimdienste sind keine geheime Macht, die aus dem Verborgenen heraus die russische Politik steuert. Aber sie sind wichtig, weil Putin als ehemaliger KGB-Mitarbeiter den Geheimdiensten eine wichtige Rolle zukommen lässt.

O-Ton 22: Galeotti: Personalistisches System

OV

Das zeigt die personalistische Natur dieses Regimes. Wir sehen, dass er sich Menschen zuwendet, denen er schon lange nahestand. Aber das heißt nicht, dass die Geheimdienste das System dominieren.

SPRECHERIN:

Sagt Mark Galeotti vom britischen Thinktank “Royal United Services Institute”. Er ist einer der bedeutendsten Experten für russische Sicherheitspolitik.

In den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Macht hat Putin ein System errichtet, das Politikwissenschaftler als Machtvertikale bezeichnen: Alle Institutionen und Personen in Russland sind auf den Präsidenten ausgerichtet. Und der erwartet von seinen Untergebenen Loyalität, Abhängigkeit und Gehorsam, sagt Mark Galeotti.

O-Ton 23: Galeotti: KGB-ler teilen sein Weltbild

OV

Putin wählt sich Leute aus dem ehemaligen KGB, weil sie eine Gemeinsamkeit mit ihm haben: Sie teilen sein paranoides und nationalistisches Weltbild. Das sind die Einstellungen, die an Putins Hof vorherrschen – und sie sind der Grund dafür, dass er so viele dieser Veteranen an die Spitze seines Systems gesetzt hat.

SPRECHERIN:

Dieses Weltbild prägt das Handeln des russischen Staates – nach innen wie nach außen, sagt Osteuropa-Historiker Andreas Hilger. Es ist die Denkweise der ehemaliger KGB-Funktionäre:

O-Ton 24: Hilger: Weltbild - Überall Feinde

Die klare Überzeugung von Gegnern, die das russische Reich damals, dann die Sowjetunion und jetzt wieder Russland bedrohen. Die von außen tätig werden, die aber auch im Innern Russlands versuchen, die Gesellschaft zu zersetzen. Und die letztendlich mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen sind.

SPRECHERIN:

Das ist der lange Schatten des KGB. Sinnbildlich wird er im September 2023, als im Innenhof des Auslandsgeheimdienstes SWR ein Denkmal enthüllt wird. Es ist die Bronzestatue vom Tscheka-Chef Feliks Dzierżyński, die vor mehr als dreißig Jahren von der Menschenmenge heruntergerissen wurde. Heute sei Dzierżyński wieder eine der „wichtigsten moralischen Leitlinien geworden“ sagt der Behördenchef des SWR feierlich bei der Einweihung.

MUSIK „Armory“; ZEIT: 01:15

SPRECHERIN:

Welche konkreten Aufgaben haben die Geheimdienste in Russland? Welche Rolle spielen sie in Putins System?

O-Ton 25: Galeotti: Taschenmesser – ohne OV

The intelligence community is Putin’s Swiss Army knife. It’s his universal tool, whenever he has something that needs doing.

SPRECHERIN:

Sie sind sein Schweizer Taschenmesser, sagt Russland-Experte Mark Galeotti. Sie dienen einzig den Bedürfnissen des Herrschers, je nach tagespolitischen Bedürfnissen des Augenblicks. Zu Beginn von Putins Präsidentschaft haben sie die politische Konkurrenz ausgeschaltet und die Macht der Oligarchen eingehegt. Dann waren sie für die Unterdrückung von Massenprotesten verantwortlich, die Einschüchterung von Medien und Oppositionellen. Es folgten gezielte Tötungen, Giftanschläge. Und schließlich Desinformations-Kampagnen, Unterstützung ausländischer Politiker und Parteien, Vorbereitungen von Aufständen und Militärinvasionen. Dabei richten sich viele Angriffe auch gegen den Westen. Denn Putin sieht sich im Krieg gegen den Westen, sagt Mark Galeotti.

MUSIK ENDE

O-Ton 26: Galeotti: Bilanz der Dienste

OV

Seine Geheimdienste arbeiten effizient und sind heute so beschäftigt, wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges. Einige ihrer taktischen Operationen waren sehr erfolgreich. Aber insgesamt fällt ihre Bilanz phänomenal schlecht aus. Das Problem ist: Putin hat über lange Zeit ein System aufgebaut, in dem er gesagt bekommt, was er hören will – nicht was er wissen muss. Und das ist die größte Sünde in der Geheimdienstarbeit.

SPRECHERIN:

Jeden Morgen liest Wladimir Putin die Dossiers seiner Geheimdienste: Die Geheimdienste bestimmen das Bild, das er von der Welt hat, noch bevor er mit Diplomaten oder Beratern spricht. Allerdings haben sie ein entscheidendes Problem: Putin mag keine schlechten Nachrichten, sagt Mark Galeotti:

SPRECHERIN:

Das führt dazu, dass er ein verfälschtes Bild der Wirklichkeit hat: Etwa, dass sein Militär in wenigen Tagen die Ukraine einnehmen kann.

Aber zu Fehleinschätzungen neigt man nicht nur im Kreml, sondern auch im Westen.

O-Ton 28: Galeotti: Überschätzung Putins

OV

Die Angriffe der russischen Geheimdienste gegen den Westen sind viel weniger erfolgreich, als viele Menschen fürchten. Zu oft nehmen wir die die Russen als Alibi her für Dinge, die wir nicht mögen. Etwa, wenn die falsche Person gewählt wird oder ein Referendum den falschen Ausgang nimmt. – Dann ist es einfach, Putin dafür verantwortlich zu machen.

MUSIK privat Take 011 „Hydra“; Album; Captain America The Winter Soldier; Label: Hollywood Records – D0001911602; Interpret: Gavin Greenaway; Komponist: Henry Jackman; ZEIT: 01:30

SPRECHERIN:

Sagt Mark Galeotti. Die gesellschaftlichen Spannungen im Westen seien hausgemacht. Russische Einflussoperationen können sich nur die Probleme zunutze machen, die ohnehin schon da sind. Sie können Stimmungen verstärken, Zweifel und Widersprüche ausnutzen. Aber sie können sie nicht erfinden.

SPRECHERIN:

Eine schwierige Gratwanderung also: Man darf den langen Schatten des KGB nicht verkennen. Die Gewalt, mit der er Russlands Elite, ihre Denkweise und die Gesellschaft beherrscht. Die Aggression, mit der er sich gegen seine Nachbarn und den Westen richtet. Aber nicht alles, was in Russland passiert, wird vom Geheimdienst gesteuert. Nicht alle, die Putin unterstützen, sind seine Agenten. Sieht man nur noch Geheimdienste am Werk, dann ist man selbst ihrem Bann verfallen: ihrer Paranoia und ihrem Hang zur Verschwörung.


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